DIE WELT IN REICHWEITE BRINGEN
Hartmut Rosa

22 bis 23. März 2018

Frühlingsvorlesung aus der Reihe “Unruhe bewahren”

Kritische Reflexionen zum Verhältnis von Resonanz und Unverfügbarkeit

Resonanz lässt sich als ein komplexer Prozess verstehen, der durch vier Merkmale gekennzeichnet ist: 1) Affizierung: Ein Subjekt lässt sich von einem anderen Menschen, einem Ding, einer Idee oder Melodie o.ä. berühren und bewegen; 2) Selbstwirksamkeit: Es antwortet darauf mit einer leiblichen, emotionalen, kognitiven und kreativen Reaktion; 3) Transformation: Dadurch entsteht eine ‚Antwortbeziehung‘, in deren Verlauf sich sowohl das Subjekt als auch das begegnende Andere transformieren; 4) Unverfügbarkeit: Was sich als das Ergebnis dieses Prozesses ergibt, lässt sich nicht vorhersagen oder planen, daher ist das vierte Element des Resonanzgeschehens ein Moment der Unverfügbarkeit. Unverfügbarkeit bezieht sich dabei nicht nur auf das Ergebnis, sondern auch schon auf das Auftreten von Resonanz überhaupt: Sie lässt sich nicht erzwingen oder (rein) instrumentell herbeiführen. Das zentrale Bestreben der Moderne dagegen gilt stets dem ‚Dingfest-‘ und Verfügbarmachen der Welt. Die Weltdinge und Prozesse sollen wissenschaftlich, technisch, ökonomisch, rechtlich und politisch kontrolliert und alltagspraktisch verfügbar werden. Dies hat jedoch zur Kehrseite, dass uns die Welt zu ‚verstummen‘ droht. Tatsächlich sind eben darin Kreativität und Resonanz intrinsisch miteinander verbunden: Auch Kreativität ist durch dieses Doppelmoment von Unverfügbarkeit gekennzeichnet, und auch Kreativität hat einen transformativen Aspekt. Daher lässt sich das Kunstschaffen als ein Resonanzgeschehen zwischen der künstlerischen Kompetenz und Selbstwirksamkeit des Subjekts und der Unverfügbarkeit eines sich immer auch entziehenden, aber antwortenden Gegenübers verstehen. Die Vorträge werden versuchen, diesen Zusammenhang zwischen Resonanz, Kreativität und Unverfügbarkeit in Lebenswelt und Gesellschaft der Moderne systematisch zu entfalten und die hier angelegte Spannung für eine Gesellschaftskritik zu nutzen. (Hartmut Rosa)

 

Kurzbiographie

Hartmut Rosa, geb. 1965 im Schwarzwald, ist seit 2005 Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und seit 2013 zugleich Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt. Davor lehrte er an der Universität Augsburg, an der Universität Duisburg-Essen und an der New School for Social Research in New York. 2016 war er als Gastprofessor an der FMSH in Paris. Er promovierte 1997 an der Humboldt-Universität zu Berlin und habilitierte sich 2004 in Jena. Er ist Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift Time & Society. 2006 erhielt er den Thüringer Forschungspreis für Grundlagenforschung und 2016 den Tractatus Preis für philosophische Essayistik. Er leitet mehrere Forschungsprojekte, darunter die von der DFG-geförderte Kollegforschergruppe ‚Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De-) Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften’. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und weltweit rezipiert. Zu den wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (Berlin: Suhrkamp 2016); Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne (Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005); Identität und kulturelle Praxis. Politische Philosophie nach Charles Taylor (Frankfurt/M. und New York: Campus 1998) sowie Soziologische Theorien (mit David Strecker und Andrea Kottmann (Konstanz: UVK/UTB 2007).

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