Ausstellung
Eröffnung mit Lesung: 15. März 2018, 18.00 Uhr
Belgrads neues Luxusviertel Waterfront steht mit seinem kontrastreichen Umbau der Stadtvedute für einen ungenierten ästhetischen Kapitalismus. Julia Gaisbacher und Barbi Markovic untersuchen in ihrem gemeinsamen Kunst-Literatur-Projekt diese vielsagenden Überlagerungen von Sein und Seinsollen, wie sie sich auf der Baustelle und in der Bewerbung des Stadtentwicklungsprojekts zeigen. Denn die Effekte dieser Wirklichkeit gewordenen Scheinwelt erweisen sich als repräsentativ für viele Umbrüche der Gegenwart.
Das überdimensionale Stadtteilentwicklungsprojekt „Waterfront Project“ der Eagle Hill Group transformiert den Stadtteil Belgrads Savamala sowie die gesamte Stadtlandschaft nachhaltig. Anstelle des gewachsenen Wohnviertels sowie der alten Hafen- und Bahnhofsanlage sollen gated communities, Büros und Retailflächen für eine aufstrebende Mittelschicht entstehen. Die daraus resultierenden urbanen Verdrängungsprozesse und Zwangsenteignungen werden auf politischer Ebene wohlwollend geduldet und nicht entgegengewirkt. Kritischen Medienberichten zu Folge profitieren Teile der Regierung durch Korruption rund um das Immobiliengeschäft während ökonomisch schwache Stadtbewohner*innen dadurch weiter an den Rand des Stadtgefüges gedrängt werden.
Zum weithin sichtbaren Symbol des „Waterfront Project“ wurden die beiden ersten Wohntürme des 1,8 Millionen Quadratmeter umfassenden Bauprojekts. Lebendiger urbaner Raum ist stets Veränderungen unterworfen, allerdings kaum derart drastischen Einschnitten. Das Bauprojekt dominiert stadtplanerisch, ökonomisch selbst visuell den Alltag Belgrads. Der erste Teil Julia Gaisbachers fortlaufende Dokumentation „One day you will miss me“ hält den status quo des Belgrader Stadtgefüges zum Zeitpunkt des Rohbaus der beiden Wohntürme und damit unweigerlich die Verfasstheit der serbischen Politik beziehungsweise gesellschaftlicher Verdrängungsprozesse fest. Niemals im Fokus der Fotos, sind die Türme stets präsent und kontrastieren mit der alten Bausubstanz der gewachsenen Stadt. In ihrer Dimension und Materialität bleiben sie Fremdkörper in der Belgrader Stadtlandschaft. Erst im Austausch mit den Bewohnern*innen der Stadt wird bewusst, dass selbst derartige architektonische Eingriffe innerhalb kurzer Zeit Teil der persönlichen Sehgewohnheiten und gleichsam langsam unsichtbar werden.
Gleichzeitig offenbart sich in Belgrad als einem der hotspots der Fluchtbewegungen nach Europa die Paradoxie internationaler Mobilität. Während durch die Schließung der so genannten Balkanroute unzählige Menschen auf ihrer Flucht in Belgrad strandeten, gilt für die Initiatoren des „Waterfront Project“, die Investoren der arabischen Immobilienentwicklungsgruppe „Eagle Hills“, uneingeschränkte Mobilität. So zeigt sich wie Geschäftsinteressen losgelöst von limitierenden Grenzziehungen agieren können. Im Gegensatz dazu stoßen die geflüchteten Menschen entlang der ungarischen, kroatischen und griechischen Grenze in Serbien und Mazedonien an eine für sie legal unüberwindbare Hürde. Dieses Scheitern einer koordinierten und solidarischen Politik Europas schreibt sich ebenso in die Stadtlandschaft Belgrads ein.
(Anna Resch und Sebastian Jobst, 2017)
Julia Gaisbacher, geboren 1983 in Grambach bei Graz, lebt und arbeitet in Wien
Studium der Kunstgeschichte (M.A.) an der Karl-Franzens Universität Graz, Studium der Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) sowie an der Hogeschool Sint Lukas, Brüssel. Meisterschülerstudium bei Prof. Martin Honert an der HfBK Dresden.
Ausstellungstätigkeit (Auswahl): Graz Architektur, Kunsthaus Graz (2017); Wer bist du? Portraits aus 200 Jahren, Neue Galerie, Graz (2017); Vis á Vis, Bautzner 69, Dresden; Die Kunst der Frau – Freundinnen und Komplizinnen, Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs, Wien (2016); Hast du von Bergen geträumt?, Tschechisches Zentrum Prag und Berlin (2014), Zi 121-136, Fotogalerie Rathaus, Graz (solo, 2014),
Stipendien/Preise (Auswahl): Kardinal König Kunstpreis (Shortlist, 2017), Gastatelier Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs (2017), Fotoförderungspreis der Stadt Graz (2016), Atelier-Auslandsstipendium Belgrad, Land Steiermark (2016), Fohn Stipendium, Emanuel und Sofie Fohn Foundation, Wien (2014)